I’m a bird now

Neue Galerie Landshut
June 13 – July 6, 2025

Astrid Busch – I am a bird now
Fotografien, Papierarbeiten und Objekte
Einführung: Stephanie Gilles M.A., Landshut

Im Jahr 1768 setzte der Engländer Laurence Sterne mit seinem Roman „A Sentimental Journey through France and Italy“ einen entscheidenden Akzent in der Kulturgeschichte des Reisens. Was zuvor vor allem politischen und wirtschaftlichen Zwecken diente, wandelte sich zum Ausdruck individueller Empfindungen. Reiseberichte wurden zu literarischen Reflexionen persönlicher Wahrnehmung, geprägt von Empfindsamkeit und dem Streben nach innerer Bereicherung.


Goethe verknüpfte diese Entwicklung in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ mit dem bürgerlichen Bildungsgedanken und begründete so die moderne Grand Tour. Bis heute gilt das Reisen als Mittel der persönlichen und geistigen Entfaltung. Auch für Künstler bedeutet das Reisen mehr als nur einen Ortswechsel: Es eröffnet neue Perspektiven, die ins eigene Schaffen einfließen – man denke etwa an die Tunisreise von Paul Klee und August Macke oder Gauguins Thaiti-Aufenthalt.

In jüngerer Zeit haben Artist in Residence-Programme diese Tradition fortgeführt. Sie bieten Künstlern die Möglichkeit, an unterschiedlichen Orten zu arbeiten und neue Impulse zu gewinnen. So auch Astrid Busch, für deren Werk das Reisen zentraler Ausgangspunkt künstlerischer Auseinandersetzung ist. Dabei geht es ihr jedoch nicht um das Spektakuläre und Exotische, sondern um das Verborgene, Enigmatische. Mit geradezu akribischem Forscherdrang erkundet und durchdringt sie Motive und deren Hintergründe – bei einer Schiffsreise mit einem Frachter beispielsweise entdeckt sie die als zeichnerische Linienstrukturen dargestellten Schiffsrouten, die Tracker abbilden, und die sie von nun an in ihre Bildwerke integrieren wird.

Unter Verwendung von fotografischen Aufnahmen urbaner Strukturen und Elemente entwickelt Astrid Busch neue Bildräume. Dabei wird das Ausgangsmaterial dekonstruiert, überlagert, durch ungewöhnliche, oft trashige Materialien ergänzt und neu zusammengebaut, ohne dabei seine atmosphärische Präsenz zu verlieren. Das klingt nach Metamorphose und – es ist auch eine:  Vielleicht haben Sie auch mit einer Mischung aus Irritation und Neugier die scheinbare Zusammenhanglosigkeit zwischen der Einladungskarte und den hier gezeigten Arbeiten registriert. Selbst der Bildtitel der Schwarzweiß-Fotografie „I remember birds and stones“ und der Ausstellung „I am a bird now“, welcher auf die eigens hierfür geschaffenen Wandtapeten verweist, fügen sich auf den ersten Blick nicht zueinander.


Doch gerade in dieser vermeintlichen Diskrepanz offenbart sich die künstlerische Handschrift von Astrid Busch: Das konsequente Spiel mit unterschiedlichen Bildebenen, Motivverschiebungen und Wahrnehmungsangeboten und die Transformation von Bildinhalten und damit auch Bildaussagen. Es ist ein künstlerisches Stille- Post- Spiel, ein Thema mit Variationen oder eben:… eine immer wiederkehrende Metamorphose.
Die Schwarzweiß-Fotografie „I remember birds and stones“ etwa entstand in Armenien. Sie zeigt Vögel auf einem kahlen Strauch. Ein Bild von stiller Poesie. Und dennoch schleicht sich bei der Betrachtung ein diffuses Gefühl ein. Man spürt, da ist ein Bruch, aber man kann ihn nicht benennen. Und in der Tat: Was das Bild nicht zeigt: Die Aufnahme entstand am Rande der Arbeiterstadt Metsamor, nahe einem Atomkraftwerk, in einer wenig lebensfreundlichen, öden Umgebung.  Die mit „I am a bird now“ betitelten Wandtapeten nehmen dieses Ausgangsbild auf und überführen es in eine neue visuelle Welt: In einem Prozess der Dekonstruktion, Verfremdung, Adduktion und Überlagerung entstehen neue, vielschichtige, abstrakte Bildräume. Die ursprüngliche Ambivalenz wird dabei aber nicht aufgelöst, sondern in eine hoffnungsvollere, fast utopische Perspektive überführt: Aus dem beunruhigenden Stillstand des Fotos wird eine vitale, raumgreifende, scheinbar aus der Vogelperspektive gezeigte Bildlandschaft.  Diese großformatigen Kompositionen, die Astrid Busch speziell für die Abschlusswände im Erd- und Obergeschoss des Gotischen Stadels der Neuen Galerie Landshut entwickelt hat, laden den Raum atmosphärisch neu auf. In ihrer gestisch-fließenden Form- und Farbsprache erinnern sie an Katharina Grosse, deren Meisterschülerin Astrid Busch war. Allerdings transformiert Grosse mit ihrer exzessiv- gestischen Malweise Räume oftmals radikal, während Astrid Busch behutsam die bestehende Raumsituation miteinbezieht.


Der komplexe Entstehungsprozess dieser Bildwelten, und das gilt für alle Arbeiten, die Sie in der Ausstellung sehen, reicht dabei weit über die malerische Anmutung hinaus. In einem Zusammenspiel aus analogen fotografischen Elementen, digitaler Bearbeitung und KI-generierten Strukturen entwickeln sich Bildräume, die an topografische Karten oder Ansichten erinnern. Hinzu kommen collageartige Settings, die Astrid Busch im Studio arrangiert, fotografisch festhält und in den digitalen Arbeitsprozess integriert. Alle diese Ebenen verdichten sich schließlich in den Prints, die Sie hier in den Räumen der Neuen Galerie sehen, und die auf unterschiedlichste Bildträger gedruckt wurden.


Das kühle Blau der Flächen von „I am a bird now“ bildet dabei einen spannungsvollen Kontrast zum warmen Holz des historischen Raums und schafft zugleich einen fließenden Übergang zum Außenraum mit dem Wasserlauf der Isar. Im Zusammenspiel mit den grazilen, an Gesteinsformationen erinnernden, geknitterten Wandobjekten und der fließenden Stoffbahn in der Raummitte entsteht so ein fein austariertes, installatives Wechselspiel von Raum, Materialität und Bildatmosphäre.


Ob Fotografie, Papierarbeit, Tapete, Stoff oder genittertes Wandobjekt: Astrid Busch ist eine Sammlerin visueller Fragmente, die urbane Strukturen und architektonische Elemente umnutzt, verfremdet, und verdichtet, um deren Ästhetik und Atmosphäre in eine neue Form zu übertragen. Ihre Arbeiten entziehen sich auf diese Weise einer eindeutigen Lesart. Sie wirken vertraut und fremd zugleich, entziehen sich klarer Materialität, fließen ineinander und erzeugen so ein Schweben zwischen Fläche und Raum, Bild und Objekt.


Diese subtile Störung, die Metaebene, das Wechselspiel zwischen Vertrautem und Ungewissem, ist es, was das gesamte Spektrum der Arbeiten von Astrid Busch so eindringlich macht. Sie verweigert die Eindeutigkeit – und öffnet dadurch den Raum für Wahrnehmung, für Fragen, für ein Sehen, das nicht auf schnelle Antworten zielt, sondern auf das atmosphärische Erleben und auf Bildbetrachtung. Ihre Arbeiten fordern also ein Sehen, das nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit dem Bauch geschieht.