Texts

Ludwig Seyfarth 2019

Für ihre inszenierten Fotografien sammelt Astrid Busch vielerlei Material. Sie verwendet eigene Fotos, durchstöbert Archive und Antiquariate und recherchiert im Internet. Dann baut sie im Atelier Settings, in denen sie die Materialien in verschiedenen Schichten arrangiert, besprüht und beleuchtet oder auch eigene Videoaufnahmen auf das Setting projiziert. Was physisch vorhanden, was projiziert ist, wird bewusst verunklärt. Erst dann erfolgt die Aufnahme. Es entsteht der Eindruck, dass es sich um Momente aus einem sich kontinuierlich verändernden Geschehen handelt. Somit ist jedes Foto ein Schritt in einer langen Kette von Arbeitsprozessen.

Die Fotografien werden selbst wieder zu Bestandteilen raumbezogener installativer Inszenierungen, die sie für Ausstellungen meist direkt auf die jeweilige architektonische Situation bezogen entwickelt. Sowohl auf den Fotos, als auch bei der Installation im Raum erzeugt das Spiel mit unterschiedlich starken Ausleuchtungen einen Schwebezustand zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität und zwischen Statik und Bewegung. Digitale Bearbeitungen finden nur bei der Weiterbearbeitung der Fotos für die Installationen statt: für wandfüllende Fototapeten, für Videoprojektionen mit sich bewegenden Formkonstellationen oder locker durch den Raum gespannte, mit Motiven aus den Fotografien bedruckte transparente Stoffe. 

Dabei kommt es auch zu einem vielfältigen Spiel mit vorhandenen oder visuell evozierten Materialqualitäten. Ein samtenes bis metallisches Glänzen etwa prägt die Installation Spinner, die erstmals 2018 im Kai 10 | Arthena Foundation in Düsseldorf gezeigt wurde. Der Titel ist dem berühmten Science- Fiction Film Blade Runner von 1982 entlehnt. Spinner heißen die in dem Film herumfliegenden und durch starke Lichtreflexe auffälligen Polizeiwagen. Assoziationsräume, wie sie hier entstehen, hat der Schriftsteller Ulrich Peltzer im Katalog zu Astrid Buschs Stipendium im Künstlerhaus Balmoral 2013 beschrieben: „Jede Erzählung, jedes gelungene inszenatorische Gefüge aus Raum und Material stellt ein unaufhörliches Wechselspiel dar von Transparenz und Geheimnis, Wissen und Mutmaßung, in dem sich scheinbar gesicherte Erfahrungen mit irritierend neuen Möglichkeiten der Narration konfrontiert sehen.“

Narrative Referenzen aus Film oder Literatur stehen häufig auch in Zusammenhang mit bestimmten Orten, deren Geschichte und Architektur die Künstlerin ebenso intensiv studiert wie die jeweilige Energie und Atmosphäre, die sie seismographisch einzufangen sucht und auch in den Material- und Oberflächenwirkungen zum Ausdruck bringt. So findet sich metallisches Schimmern auch auf den Bildern, die während eines längeren Aufenthalts 2018 in Le Havre entstanden sind. Die hier überall spürbare Nähe zum Meer und die fluide Atmosphäre inspirierte die Künstlerin ebenso wie die eigentümliche Architektur der französischen Hafenstadt, die im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und deren Zentrum danach nach Entwürfen von Auguste Perret fast völlig neu und einheitlich aus Beton errichtet wurde. Eine Recherche über weitere Planstädte des 20. Jahrhunderts wird Astrid Busch unter anderem 2020 nach Brasilia führen. 

In ihrer Auseinandersetzung mit urbanen Strukturen lässt Astrid Busch auch „durchblicken“ – was man hier fast wörtlich nehmen kann – , wie die Autarkie geschlossener Gebäude durch die Immaterialität heutiger Kommunikationstechniken immer mehr in Frage gestellt wird. Das Spannungsfeld zwischen Atmosphärischem und Architektonischem, stimmungshafter Unbestimmtheit und auch kompositorisch fest Gebautem zieht sich durch Astrid Buschs vielschichtige, auch das Fotografische auf originelle Weise weiterdenkende Kunst. 

English Version

For her staged photographs, Astrid Busch collects a wide variety of material. She uses her own photographs, browses through archives and antiquarian bookshops, and conducts research on the Internet. She then builds sets in her studio, in which she arranges, sprays, and illuminates the materials in various layers, or projects her own video recordings onto the set. What is physically present and what is projected is deliberately obscured. Only then does the actual photographing take place. One has the impression that these are moments from a continuously changing event. Each photograph is thus a step in a long chain of working processes.

The photographs themselves become in turn components of staged, site-specific installations, which she generally develops for exhibitions in direct response to the respective architectural situation. Both in the photographs and in the installations, different levels of illumination create a state of suspension between representationalism and abstraction, between two and three-dimensionality, between stasis and movement. Digital processing only takes place in the subsequent reworking of the photographs for the installations: for wall-sized photo wallpapers, video projections with moving constellations of forms, or transparent fabrics printed with motifs from the photographs loosely stretched across the space.

This also leads to a multifaceted play with existing or visually evoked material qualities. The installation Spinner, which was first shown at the Kai 10 | Arthena Foundation in Düsseldorf in 2018, is characterized by a velvety to metallic shine. The title is borrowed from the famous science fiction film Blade Runner from 1982. Spinners are the names of the police cars that fly around in the film, conspicuous as a result of strong light reflections. In the catalog to Astrid Busch’s scholarship at the Künstlerhaus Balmoral in 2013, the author Ulrich Peltzer described the range of associations that emerges here: “Every narrative, every successful, staged structure of space and material, represents an incessant interplay of transparency and mystery, knowledge and conjecture, in which ostensibly established experiences are confronted with irritating new possibilities of narration.”

Narrative references from film or literature are often also related to certain places, the history and architecture of which the artist studies as intensively as the respective energy and atmosphere, which she seeks to capture seismographically and expresses in the effects of materials and surfaces. Metallic reflections can thus also be found in the images that were taken during a longer stay in Le Havre in 2018. The artist was inspired by the proximity to the sea that can be felt everywhere here, as well as by the fluid atmosphere and the characteristic architecture of the French port city, which was largely destroyed during the Second World War and whose city center was subsequently almost completely and uniformly rebuilt from concrete according to designs by Auguste Perret. Research into other planned cities of the twentieth century will take Astrid Busch to, among other places, Brasilia in 2020.

In her examination of urban structures, Astrid Busch also allows us to “see through”—which we can take almost literally here—how the self-sufficiency of closed buildings is increasingly called into question by the immateriality of today’s communication technologies. The field of tension between the atmospheric and the architectural, mood-enhancing indeterminacy and the compositionally solidly built, is a leitmotif of Astrid Busch’s multi-layered art, which also thinks photography further in an original way.

Carla Orthen 2015

Form follows fiction and function
Astrid Buschs Ausstellungstitel “all colors agree in the dark”, dem die deutsche Redewendung „Nachts sind alle Katzen grau“ noch am ehesten entspricht, verweist auf die genuine Bedeutung des Lichts, das unsere Welt visuell erst erfahrbar macht. So stellt sich schon beim Betreten der Ausstellung die leitmotivische Frage: Was passiert mit Farben und Formen, sobald sie mit Licht in Berührung kommen, von der Dunkel- in Helligkeit übergehen, regelrecht also „in Szene“ gesetzt werden? Fotografie, um die es der Künstlerin in all ihren Ausdrucksvarianten geht, heisst nicht umsonst wörtlich übersetzt das „Malen mit Licht“.
Astrid Busch arbeitet vorwiegend ortsbezogen. Materialien, die sie ihrem Arbeitsalltag entnimmt und im Studio neu zusammensetzt, die sie fotografiert und am Computer bearbeitet, treten in Dialog mit dem Ausstellungsraum. Busch greift die architektonischen und atmosphärischen Eigenheiten ihres Präsentationsortes auf und lässt sie mit Hilfe dekonstruktivistischer Verfahren (Verfremdung, Fragmentierung, Rekontextualisierung) in neuem Licht erscheinen. Für ihr Solo Debüt im Kunsthaus Erfurt hat die Künstlerin eine Ausstellungsdramaturgie entwickelt, die das gesamte Haus in ein begehbares Display verwandelt und schon beim Blick durch das Schaufenster Sogwirkung entfaltet.
Buschs fotografische Arbeiten wirken wie postmoderne Architekturcollagen, auf denen unterschiedlich stark ausgeleuchtete Versatzstücke und Materialien aufeinander treffen: silber glänzendes Metall, spiegelndes Glas, hölzernes Rahmenwerk, technoide Verstrebungen, farbige Geometrien. Die Fotografien werden auf verschiedene Bildträger aufgezogen, direkt auf die Ausstellungswand tapeziert oder projeziert. Dazu gehören sowohl ordentlich gerahmte und gehängte Werke, wie man sie aus repräsentativen Ausstellungskontexten gewohnt ist, als auch beiläufig an die Wand gelehnte Bilder, die so wirken, als seien sie gerade angeliefert oder schon wieder oder zum Abtransport bereit gestellt worden. Großformatige Plakate erinnern an Werbebanner im städtischen Raum, deckenhohe Wandtapeten an Dekorationsrituale, die sonst eher im Wohnraum zur Anwendung kommen. Vorhangartige Prints weisen den Galeriekontext schließlich als das aus, was er im ureigensten Sinne ist: Eine performative Bühne, auf der Kunst zur Schau gestellt wird. So treffen unter dem Dach des Wohn- und Kunsthauses all die Stilmittel aufeinander, die unser öffentliches und privates Leben in einen Illusionsraum verwandeln.
Durch installative Settings, wegweisende Wandmarkierungen, bewegte Projektions- und Beleuchtungssysteme konzipiert Astrid Busch ihre Ausstellung als raumübergreifendes Referenzsystem, das uns den verschachtelten Altbau des Kunsthauses als dynamisches Vexierbild erleben lässt. Gerade weil uns die Künstlerin ein multiperspektivisches Skript an die Hand gibt, beteiligt sie uns umso mehr an einer Dramaturgie, in der sich Repräsentationen und Improvisationen, Fiktionen und Funktionen überlagern.

English Version

Form Follows Function and Fiction
The title of Astrid Busch’s exhibition, all colors agree in the dark (a play on the expression “all cats are grey in the dark”), points to the genuine importance of light, without which the world could not be visually experienced. Thus a thematic question arises as soon as one enters the exhibition: What happens to colors and shapes when they come into contact with light, when they pass into the light from the shade, when they are placed properly in the spotlight? It is not for nothing that photography – which, in all its expressive variety, is the artist’s main concern – literally means “drawing with light.”
Busch’s work is fundamentally site-specific. Materials taken from her daily working life and recombined in the studio, photographed and digitally manipulated, are constantly entering into dialogue with the exhibition space. She takes up the architectural and atmospheric qualities of her location and presents them, with the help of deconstructive methods (alienation, fragmentation, recontextualization), in a new light. For her solo debut at Kunsthaus Erfurt, she has developed a dramaturgy of presentation that transforms the entire building into a sort of enterable display that draws viewers in from their first glimpse through the front windows.
The artist’s photographic works function as postmodern architectural collages in which props and materials, illuminated to varying degrees, converge: silvery gleaming metal, glittering glass, wood frames, industrial-looking struts, colorful geometries. The photographs are mounted on various surfaces, sometimes pasted or projected directly onto the walls of the space. They include neatly framed pieces, hung in the familiar way of the prototypical exhibition context, as well as pictures casually leaned against the wall, giving the impression they have either just been delivered or are already waiting to be shipped back out. Posters recall advertising banners from the city streets; floor-to-ceiling photo wallpaper evokes rituals of decoration normally conducted in living rooms. Prints hung like curtains ultimately reveal the gallery context for what, in the truest sense, it is: a performance stage, where art is put on show. Gathered under the roof of the apartment house and art gallery are all the stylistic devices that transform our public and private lives into a space of illusion.
Using installation-like settings, directional wall markings, and movable projection and lighting systems, Astrid Busch has conceived her exhibition as an enormous system of references, allowing the labyrinthine old building that is the Kunsthaus to be experienced as a dynamic optical illusion. Handing us a multiperspectival script, the artist involves us all the more deeply in her dramaturgy of overlapping representations and improvisations, fictions and functions.