Evelyn Vogel 2021

Süddeutsche Zeitung vom 27. Mai 2021

Liebeserklärung ans Licht

Die Künstlerin Astrid Busch übersetzt Architektur in Kunst

Natürlich kann man die Arbeiten rückwärts entschlüsseln. Sie Schicht für Schicht visuell abschälen, bis man bei der Architektur landet. Etwa so, wie man ein altes Haus bis auf die Grundmauern entkernt. Was zu Tage träte? Planstädte wie Mezamor in Armenien, die einst für die Arbeiter des nahegelegenen Kernkraftwerks gebaut wurde. Oder Brasilia, die ungleich berühmtere von Oscar Niemeyer. Man würde zum Kern des Werks vordringen, würde die für Planstädte charakteristischen Formen offenlegen. Und man würde meinen zu verstehen, was die Arbeiten von Astrid Busch mit Architektur zu tun haben.

Und doch würde man sich selbst um das Vergnügen am Kunstwerk betrügen. Denn wie so oft ist auch bei den vielschichten fotografischen Werken von Astrid Busch, die unter dem Titel „weder Wüste noch Wald“ im Kunstraum zu sehen sind, das Ergebnis weit mehr als die Summe seiner Einzelteile. Erst durch die Überlagerung der Schichten, das Zusammenspiel von Formen, vor allem von Licht, Schatten, Stimmung und Farbe gewinnen die Arbeiten ihren Reiz.

Aus dem zugrunde liegenden fotografischen Material – eigenem wie fremdem – sowie vor Ort gesammelten Fundstücken baut Busch „Settings“, wie sie es nennt. Erst davon entstehen die eigentlichen Aufnahmen. Darin überlagern sich die Zeitebenen, werden Gebrauchsspuren der Materialien sichtbar, die Atmosphäre und Energie transportieren, und deren kompositorische Aspekte Geschichten rund um die Architektur erzählen.

Einige dieser so entstandenen Arbeiten hängen als klein- und mittelformatige Fotos im Kunstraum und wirken wie komprimierte Bilder. Andere hat Busch großflächig auf Papier projiziert und Wände damit tapeziert, so dass die Strukturen eine stark räumlich-architektonische Wirkung erzielen. Eine weitere Arbeit hat sie auf Stoff gedruckt und als raumfüllende Plastik ausgebreitet. Zusätzlich überblendet sie die Räume mit schemenhaften Strukturen. Und dann gibt es noch stark abstrakt wirkende, gewebte Bildobjekte, deren haptisches Moment sich erst beim Nähertreten offenbart, ebenso wie bei der Arbeit auf Japanpapier, die so federleicht an der Wand zu schweben scheint.

Auch deshalb wäre es nicht ganz richtig, Astrid Busch, obschon sie fotografisch arbeitet, nur als Fotografin zu bezeichnen. Die in Berlin und Düsseldorf lebende Künstlerin hat an der Kunstakademie in Nürnberg und an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studiert und ist Meisterschülerin von Katharina Grosse. Von deren malerischen, raumsprengenden Farbarbeiten mag Astrid Busch inspiriert sein. Ihre Bildsprache aber ist eine eigene.

Astrid Busch: weder Wüste noch Wald, Kunstraum München, Holzstr. 10, RG, Mi-So 14-19 Uhr, bis 6. Juni (Finissage mit Katalogpräsentation)